Die Arbeiten der KünstlerInnen in der Ausstellung Black Sound White Cube

Sanford Biggers ist in Los Angeles aufgewachsen und lebt zurzeit in New York. Biggers beschreibt sich u. a. selbst als Hip Hop-Romantiker. Seine Arbeit Ghetto Bird Tunic ist eine moderne "Hood" (amerikanischer Slang für Hip Hop Kleidung) für Home-Boys, die sich im Ghetto vor den "Ghetto-Vögeln" (ein anderes Word für Polizeihubschrauber) in Sicherheit bringen müssen. Seine mit 1000 Federn bestickte Daunenjacke mit federbesetzter Kapuze lässt ihren Träger aus der Vogelperspektive wie ein Busch oder einen Baum erscheinen. Die Ghetto Bird Tunic wird Teil einer live Soundperformance von Satch Hoyt zu Beginn der Ausstellung sein und als deren Relikt in der Ausstellung verbleiben.


Sonia Boyce, Crop Over, 2007, Videoinstallation

Sonia Boyce spielte in den 80er Jahren in Großbritannien eine Schlüsselrolle als eine der RepräsentantInnen des Black Arts Movement. In der Ausstellung Black Sound White Cube ist sie mit der Videoinstallation CROP OVER von 2007 zu sehen. Der "Crop Over Carnival" ist ein Erntedank-Karneval auf Barbados, welcher aus den Lebensumständen rund um die Zuckerrohr-Plantagen und die Zuckerproduktion der Karibik entstand. Sonia Boyce verbindet diesen Karneval mit der Geschichte des Harewood House in Großbritannien und dessen Beziehung zum transatlantischen Sklavenhandel. Im Verlauf des Videos kommentieren Kulturhistoriker die dargestellten Figuren des Crop Over-Karnevals und geben dem Betrachter sowohl einen Einblick in deren historische als auch zeitgenössische Bedeutung. Die kontemplative Atmosphäre des Videos verändert sich an dem Punkt, wo die Aufmerksamkeit des Betrachters zum Höhepunkt des Karnevals, dem Grand Kadooment Day, gelenkt wird. Umgeben von Bands, Tänzern und Feiernden tauchen wir ein in die aufregende Welt der Maskerade und des Karnevals.


Nate Harrison, Can I Get an Amen, 2004, Installation

In seiner Arbeit in Form einer besprochenen Schallplatte Can I Get an Amen zeichnet der amerikanische Künstler Nate Harrison die Geschichte des Schlagzeug-Samples 'Amen Break' nach, der 1969 von der schwarzen Soul/Funk-Band The Winstons auf der B-Seite einer ihrer Singles unter dem Titel 'Amen Brother' veröffentlicht wurde. Es handelt sich dabei um ein kurzes Schlagzeugsolo in der Mitte des Songs. Der Break dauert vier Takte und ist für einen Funkbreak relativ schnell. Der 'Amen Break' ist das am häufigsten genutzte Sample in der Geschichte des Hip-Hop und der elektronischen Musik. Breakbeats und der 'Amen Break' im speziellen sind die Grundlage der Jungle-Musik, aus der später Drum 'n' Bass und Breakcore entstanden. Vor allem anfangs enthielt nahezu jedes Jungle-Stück den 'Amen Break' in mehr oder weniger erkennbarer Form, aber auch noch heute wird er immer wieder eingesetzt und ist in TV und Radio auch häufig zur Untermalung von Werbung verwendet worden. Nate Harrison weist in seiner Arbeit Can I Get an Amen nach, wie der Amen Break, der von den schwarzen Musikern der Winston Band als allgemeines Kulturgut geschaffen wurde, durch die unrechtmäßige Aneignung eines amerikanischen Großkonzerns in eine Ware verwandelt und damit lizenzpflichtig gemacht wurde. Harrison thematisiert damit nicht nur die Dekontextualisierung von schwarzem Kulturgut, sondern kritisiert auch den Umgang mit Urheberrechten und dessen Konsequenzen für die zeitgenössische Kulturproduktion.

Die New Yorkerin Jennie C. Jones verbindet Kunstgeschichte mit schwarzer Jazz-Geschichte, indem sie die avantgardistischen, modernen Sprachen dieser beiden Bereiche zueinander in Beziehung setzt. Ihre Arbeit ist ein Kommentar auf die konzeptuelle Ideologie des modernen Jazz und dessen Tradition. Die Arbeit Breathless (2008-2010 fortlaufend), eine Serie zeichnungsähnlicher Blätter mit hinter Glas gepressten herausgerissenen Tonband aus den Kassetten des Musikers Kenny G, dessen Gesamtwerk Jones auf Kassette erwarb, stellt eine Abrechnung der Künstlerin mit dem glatten Mainstreamjazz des Musikers da. Durch die eckige, kantige Anordnung der herausgerissenen Tonbänder möchte sie dem Jazz zurückgeben was Kenny G ihm genommen hat: die Ecken, die Kanten und die Inspiration.

Minouk Lim beschäftigt sich in ihrem Video New Town Ghost mit dem Ausverkauf von Städten und der Umwandlung von Universitäten in Dienstleistungsbetriebe der Wissensökonomie. Ihr Video dreht sich vorallem um die Veränderungen ihres Stadtviertels Yeongdeungpos (Seoul in Korea), die durch den Bau eines großen Einkaufszentrums mit Wohnanlage in Gang gesetzt wurden. Lim schrieb darüber einen langen Text. Sie initiierte eine Performance dieses Textes mit einer jungen koreanischen Slam-Poetin, mit Megaphon zu den Break-Beats eines Schlagzeugers auf der Ladefläche eines Kleinlasters. Während der Performance filmt Lim die beiden auf ihrer Fahrt durch genau den Stadtteil von dem der Text handelt. Mit dieser mutigen politischen Performance-Aktion hofft die Künstlerin eine Reaktion der lokalen Bevölkerung zu provozieren.

Yvette Mattern filmt ihre Mutter und stellt dabei viele Fragen, die ihre weiße Großmutter und ihren schwarzen Großvater betreffen. Das Video Interview with my Mother, Mulatta/Mestizo spiegelt den puertorikanischen Rassismus wieder, der sich ganz in der Selbstwahrnehmung ihrer Mutter eingeschrieben zu haben scheint. Neben vielen Details aus ihrem Leben hören wir die Mutter auch 'Summertime' singen als Verweis auf ihren Vater, der ihr als Musiker das Singen beibrachte.

Der südafrikanische Künstler Robin Rhode befasst sich mit Happening, Fotografie und Videokunst in Kombination mit zeichnerischen Versatzstücken. Robin Rhode lebt und arbeitet in Berlin. Thematisch setzt sich der Künstler sowohl mit sozialkritischen wie ungezwungenen Betrachtungen der Jugendszene und des Großstadtlebens, im engeren Sinne mit den Townships um Johannesburg, insbesondere Soweto, auseinander. In seinen Aktionen zitiert er stilistische Merkmale von Graffiti, Wandmalerei und Straßenkunst. Das Werk hat oft autobiografische Bezüge, die auf Rhodes eigene Kindheit und Jugend in einer aus Apartheid, Gewalt und Rassismus entstandenen Subkultur reflektieren. In seinen Performances gibt der Künstler zunächst ein Szenario (ein Fahrrad, einen Plattenspieler, ein angedeutetes Skateboard u. ä.) vor, das er meistens mit Kohlestift an einer Wand oder auf dem Boden vorskizziert. Diese zweidimensionale Vorlage erweitert Rhode im Rahmen einer manchmal humorvollen, manchmal ernsthaften Geschichte durch Hinzufügen von Requisiten um die Komponente Raum. Rhodes fiktive Interaktionen mit seinen Zeichnungen werden dabei auf Videos oder Fotos dokumentiert, die wiederum in Installationen Verwendung finden. Seine Fotoarbeit Keys wird Teil der Ausstellung Black Sound White Cube sein.

Nadine Robinson wurde 1968 in London geboren, wuchs in Jamaika auf und lebt heute in der Bronx, New York. Robinson bringt Materialien zusammen, die auf die afroamerikanische Diaspora verweisen: z. B. Haarteile, DJ-Equipment, Tonaufnahmen spiritueller und traditioneller Reden, Predigten, Songs und Gesänge. Sie spiegelt in ihren Arbeiten traditionelle Ausdrucksformen der afroamerikanischen Diaspora und verweist auf eine langjährige Parallelgesellschaft, die durch den ebenso langen Rassismus gegenüber "people of colour" besonders in den USA entstanden ist. Ihre Installation Coronation Theme: Parousia, eine Variante von Coronation Theme: Organon, welche als Auftragsarbeit im Zusammenhang mit einer Ausstellung über die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA für das High Museum of Art in Atlanta entstand, wird das Herz der Ausstellung Black Sound White Cube bilden. Robinson setzt das Kronenmotiv in ihrem gigantischen Soundsystem auf gleich drei Ebenen um: in der kronenförmigen Form des Soundsystems, das auf Jamaikanische Musikkultur verweist (deren Reggae-Tradition ebenfalls oft durch die Krone Haile Selassies repräsentiert wird), in der Verwendung von Bässen eines Dubsongs und Teilen des Krönungsoratoriums von Händel in einem Soundmix und in dessen kontextuellem Verweis auf Martin Luther King, der sich für den gewaltlosen Widerstand stark machte.

Die Ökonomisierung der Lebenswelt bietet eine Auseinandersetzungsfläche, die immer wieder in Form verschiedener Motive in der Arbeit von Marusa Sagadin aufscheint. Dabei interessieren die Künstlerin sowohl größere Zusammenhänge, wie die fortschreitende Vermarktung des Stadtraums, als auch das konkrete persönliche Erleben der Einzelnen, zum Beispiel in Bezug auf Hierarchien am Arbeitsplatz. Ihre formal häufig durch Verfahren der Architektur inspirierten Installationen oder textbasierten Collagen fragen nach dem Wert des menschlichen Lebens im kapitalistischen Alltag. Durch das gleichzeitige Einbringen subkultureller Sprach- und Bildmittel wie Rap, Hip Hop und Breakdance verharren ihre Arbeiten nicht nur auf der Ebene der Analyse, sondern deuten zugleich auch immer auf die Veränderbarkeit der Verhältnisse. Ihre Installation “Wo ist unser Niveau Herr Perrault?" besteht aus einem Rap von Sagadin auf Platte gepresst und mit Plattenspieler in Kombination mit verschiedener Sperrholzassemblagen gebracht, die das in den 90er Jahren entstandenes Businesszentrum “Donau-City" (entworfen vom französischen Stararchitekten Perrault) in Wien reflektieren.


Ina Wudtke, The Fine Art of Living, 2009-2011, fortlaufende Serie

Durch die Arbeit an ihrem Video Parade von 2010, welches ihre Beteiligung als Künstlerin und DJ an einer Parade gegen aggressive Gentrifizierung in Berlin Mitte dokumentiert, begann die Künstlerin Ina Wudtke eine Untersuchung zu der Bedeutung von Paraden im Kontext der afroatlantischen Diaspora. Daraus resultierten vier zusammenhängenden Arbeiten, die in der Ausstellung Black Sound White Cube zu sehen sein werden. Als langjährige Jazz DJ integrierte Wudtke die jahrhunderte alte Tradition der Jazzbeerdigungen aus New Orleans (USA) in einer gezeichneten Serie Trauermarsch New Orleans/Parade funebre New Orleans über den Wiederstand der wohnungslos gewordenen Project-BewohnerInnen nach dem Sturm Kathrina. Nicht etwa der Sturm machte die Leute wohnungslos sondern die Lokalpolitik, die Sozialwohnungsbewohnerinnen nach der Evakuierung, aus den vom Sturm unbeschadeten Gebäuden, und damit dem Wahlbezirk, fernhalten wollen. Gleichzeitig definiert sich die Stadt New Orleans und ihre Tourismusindustrie kulturell maßgeblich über den Jazz, der nicht selten von genau diesen Sozialwohnungs-bewohnerinnen geschaffen wurde. Wudtke zeigt eine Parallele zu in Berlin lebenden MusikerInnen auf, die ebenfalls die Stadt global aufwerteten aber gegenwärtig durch hohe Mieten vertrieben werden. Die afroatlantische Parade, die vom Beerdigungszug bis in Jugendbewegungen wie die Loveparade und politische Paraden mit Musik weltweit an Einfluß gewann, kehrt in Wudtkes Installation Parade für Carl Crack zu ihrem Ursprung zurück und stellt eine Gedenkinstallation für den 2001 verstorbenen Berliner Musiker Carl Crack (u.a. Atari Teenage Riot) dar. Zusammengefasst hat Wudtke ihre um globale Gentrifizierung kreisenden Gedanken in ihrem Album The Fine Art of Living welches zur Eröffnung der Ausstellung erscheint und auch gleichzeitig einen Teil des Soundtracks zum ihrem in der Ausstellung gezeigten Video Parade bildet.